Plakatkunst bei Herman Miller

Für Grafikdesigner Steve Frykholm ist das Leben bei Herman Miller ein echtes Picknick. Der Vice President of Creative Design denkt über seine 45 Jahre beim Unternehmen nach und sieht sich seinen ersten – inzwischen legendären – Arbeitsauftrag an: ein Plakat für das Unternehmenspicknick.


Verfasst von: Amber Bravo

Video von: Dress Code

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Plakatkunst bei Herman Miller

Für Grafikdesigner Steve Frykholm ist das Leben bei Herman Miller ein echtes Picknick.

1970 stellte Herman Miller den ersten hauseigenen Grafikdesigner ein, einen engagierten Absolventen der Kunstakademie Cranbrook namens Steve Frykholm. Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, ein Plakat zu entwerfen, mit dem für das jährliche Unternehmenspicknick geworben werden sollte. Er konnte nicht ahnen, dass sein Werk Auslöser für eine ehrgeizige Reihe werden würde, die inzwischen den Weg in unzählige Museumssammlungen gefunden hat und ihm einen Platz unter den illustren Designmitarbeitern von Herman Miller sichern würde. Wir haben uns mit Frykholm über die Vorteile der Arbeit im eigenen Haus und über die transformative Kraft eines wirklich guten Plakats unterhalten. 

LEFT: 1970 Sweet Corn Poster RIGHT: 1983 Ice Cream Cone Poster

Glauben Sie, dass Plakate heute noch so relevant sein können, wie damals, als Sie in den Siebzigern anfingen?

Ein gutes Plakat – eines, das wirklich eine Idee vermittelt – ist immer noch relevant. Es gibt so viele verschiedene Arten von Plakaten: Informationsplakate, Werbeplakate, Erinnerungsplakate. Für mich ist ein Plakat eigentlich nichts anderes als eine Briefmarke, bloß größer. Und ich finde, Plakate sollten groß sein. Sie sollten mindestens 61 x 91 cm groß sein, besser noch größer. 

Neulich arbeiteten Anne Sutton [Grafikdesignerin bei Herman Miller] und ich an einem neuen Design, und ich sagte: „Gehen wir in die Innenstadt, zu den Clubs. Ich möchte, dass du dir die Plakate in den Fenstern anschaust. Wir gehen auf die andere Straßenseite und du sagst mir, welche dir auffallen und warum. Die besseren kann man wirklich von der gegenüberliegenden Straßenseite erkennen.“ 

Ein Designer, der an seinem Computer arbeitet, verliebt sich schnell in sein eigenes Design und hält es für das größte, doch in Wirklichkeit, wenn man das kleine Projekt nimmt und zu denen von den Tausenden von Designern legt, die an ähnlichen Produkten arbeiten, geht es unter im Meer der Gleichheit. Was macht ein Design einzigartig, originell, erfinderisch, fantasievoll und überzeugend? Welche Attribute sorgen dafür, dass ein Design sich wirklich von der Masse abhebt? Ich glaube, die Dimensionalität stammt von der Person, die es entwirft, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das Design benötigt Präsenz.

LEFT: 1978 Cake Poster RIGHT: 1977 Fruit Salad Poster

Bleiben wir bei der Vorstellung, dass Designer sich so schnell in die Bilder auf dem Bildschirm verlieben. Glauben Sie, dass die analoge Arbeit mit taktilem Material für die Plakatgestaltung Vorteile besitzt?

Ich finde es wirklich schade, dass ich nicht früher in meiner Laufbahn gelernt habe, am Computer zu arbeiten. Er ist wirklich ein tolles Werkzeug. Gleichzeitig glaube ich aber, dass es für einen jungen Designer, der nie wirklich mit Schere, Stiften und Klebeband gearbeitet hat – oder sogar Klebstoff, Kreiden oder Fotos –, nicht ganz einfach ist, den Prozess zu verstehen. Ich finde es wertvoll, zuerst eine Collage zu erstellen, bevor ich ein Design auf dem Bildschirm fertigstelle, um eine Datei zum Ausdrucken zu haben. Analog und digital sind beide wichtig. 

Ich habe analog den ganzen Vormittag mit der Arbeit an einem Plakat verbracht. Wenn ich das jetzt aber am Computer bearbeite, geht das viel schneller. Natürlich kann man sich am Computer auch völlig verlieren. 

„Für mich ist ein Plakat eigentlich nichts anderes als eine Briefmarke, bloß größer. Und ich finde, Plakate sollten groß sein.“

- Steve Frykholm

A selection of archival photographs of picnics from years past.

Picknicks der Vergangenheit.

Sie sind seit 45 Jahren bei Herman Miller – das ist ganz schön lang! 

Das hat sich so ergeben. Neulich traf ich zufällig einen ehemaligen Kollegen, der vor einigen Jahren in Rente ging, und er fragte: „Und wie steht's so bei Herman Miller?“ Und ich sagte: „Um ehrlich zu sein, wäre ich gerne 10 Jahre jünger, damit ich noch etwas länger dabeibleiben könnte.“ 

In einem früheren Interview erwähnten Sie, dass Sie ursprünglich dachten, Sie würden nicht in Michigan bleiben. 

Ich bin im mittleren Teil der USA aufgewachsen. Meine Jugend verbrachte ich in Kansas, dann machte ich an der Bradley University meinen Bachelor, dann an der Cranbrook Academy of Art meinen Master in Design, nachdem ich zwei Jahre lang beim Friedenscorps in Nigeria als Lehrer tätig gewesen war. Danach wollte ich an der Ost- oder Westküste arbeiten, aber auf jeden Fall weg von hier! New York, LA, San Francisco – dort ging es ab. 

Doch Sie blieben in Michigan.

Wenn man von Herman Miller eine Stelle angeboten bekommt, sollte man sich das zumindest einmal anschauen. 

LEFT: 1979 BBQ Chicken Poster RIGHT: 1974 Popcorn Poster

Warum haben Sie sich für Cranbrook entschieden?

Cranbrook bot mir ein Stipendium an, deshalb ging ich dort hin. In meiner Anfangszeit kamen mindestens 75 % aller Leute, die im Grafikdesign einen Namen hatten, vom Art Center in Kalifornien. Dort wollten sie mich ins zweite Semester aufnehmen, doch ich schrieb hin und sagte „Da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bewerbe mich für ein Master-Studium.“ Die Antwort war: „Nein, kein Missverständnis. Sie kommen zu uns, durchlaufen unser Curriculum, Punkt.“ Also bin ich stattdessen nach Cranbrook gegangen. 1992 dann lädt mich das Art Center zu einem Vortrag im Rahmen der dortigen Reihe von Toyota Distinguished Lectures ein. 

Nett. Haben Sie diese Geschichte bei Ihrem Vortrag erwähnt?

Ich habe die Geschichte nicht nur erzählt, sondern den Brief vorgelesen! 

Zog Sie Herman Miller wegen der dort herrschenden „Design-DNA“ an?

Als ich nach Cranbrook kam, kannte ich Herman Miller überhaupt nicht. Aber in der Abteilung waren Grafikdesigner, Produktdesigner, Umweltdesigner, und sie alle gingen zum jährlichen Abverkauf bei Herman Miller und kamen mit diesen kleinen Schätzen zurück – einem Eames Stuhl oder einem Girard Stoff. So erfuhr ich zum ersten Mal von dem kleinen Unternehmen draußen in Zeeland, Michigan. Als ich in Boston bei Vorstellungsgesprächen war, erzählten mir meine Eltern, dass ich von Herman Miller angerufen worden sei. Also rief ich zurück. Sie bauten dort eine hauseigene Grafikdesign-Gruppe auf und wollten wissen, ob ich an einem Vorstellungsgespräch interessiert sei.

An aerial archival photograph of a picnic from years past.

Picknick-Feier von Herman Miller aus der Vogelperspektive.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Vorteile, so lange in einem Haus zu bleiben, wenn es um Kreativität geht?

Wissen Sie, ich hatte das große Glück, dass ich in einem Unternehmen mit einer so wunderbaren Design-DNA und der Freiheit und dem Drang nach Originalität arbeiten durfte. Das erinnert mich an ein herrliches Zitat von George Nelson, dem Designleiter von Herman Miller von den Vierziger- bis in die Sechzigerjahre. Es stammt aus einem Interview, das er und der Unternehmensleiter DJ De Pree dem Designkritiker Ralph Caplan anlässlich des allerersten Katalogs gaben, den das Nelson-Büro 1948 für Herman Miller erstellte. DJ ging George richtig hart an, dass der Katalog so schön sei, wo doch niemand in der Branche den Katalog verkauft, und George antwortete: „Das weiß ich, aber es muss immer ein erstes Mal geben.“ Das ist jetzt seit 60 Jahren der Leitspruch bei Herman Miller. Ich weiß nicht, wie 45 Jahre bei einem anderen Unternehmen wären, das könnte die Hölle sein. Das heißt nicht, dass ich nicht hin und wieder mit dem Gedanken gespielt habe, zu gehen, doch, doch, mehrmals. 

Es ist ein bisschen wie in einer langen Beziehung.

Ja, das stimmt. Man muss viel dafür tun. 

Was waren neben den Picknick-Plakaten Ihre Lieblingsprojekte?

Nach den Picknick-Plakaten kommen wohl die Jahresberichte. Die sind unglaublich, wenn ich das einmal so sagen darf. Ob ich nun mit Clark Malcolm [langjähriger Redakteur bei Herman Miller] oder auch mit anderen Autoren arbeitete, der Jahresbericht von Herman Miller war für mich immer Ausdruck der Unternehmenskompetenz, der zufälligerweise auch Zahlen enthielt. Alle zusammen gesehen, sind sie wirklich nicht schlecht. Manche sind hervorragend, andere weniger, aber ich habe mir immer viel Mühe gegeben.

Jahresberichte waren früher ein großes Ding. 

Sie waren früher wirklich ein großes Ding und es stand ein gutes Budget dafür zur Verfügung. Natürlich gab es gute und schlechte Jahre. In den guten Jahren gab es in der Regel höhere Budgets als in den schlechten, aber in beiden Fällen war die Gestaltung originell. 

„Ich finde es wertvoll, zuerst eine Collage zu erstellen, bevor ich ein Design auf dem Bildschirm fertigstelle, um eine Datei zum Ausdrucken zu haben. Analog und digital sind beide wichtig.“

- Steve Frykholm

LEFT: 1975 Cherry Pie Poster RIGHT: 1982 Seven Layer Salad Poster

Wie muss man sich die schlechten Jahren vorstellen?

In einem Jahr waren die Zahlen so schlecht, dass ich den Jahresbericht gerne auf einem Müllsack gedruckt hätte. Ich stellte fest, dass wir das wirklich schaffen könnten, doch wegen der dafür erforderlichen Zeit war es dann nicht möglich. In dem Jahr brachten wir einen billigen Regenüberhang auf das Cover als Dankeschön an die treuen Aktionäre, die „den Sturm mit uns überstanden“ hatten. 

Können Sie sich nach all den Jahren noch immer für Grafikdesign begeistern?

Ja, auf jeden Fall. Es macht mir richtig Spaß. Wenn ich eine schöne grafische Gestaltung sehe, freue ich mich und fühle mich inspiriert. Was mir aber richtig gefällt, ist darstellende Kunst, da sie viel mehr Dimensionen hat. Sie ist nicht statisch. Deshalb engagiere ich mich wohl für die Vorstellungen des Grand Rapids Ballet. Mein Herz schlägt dann ein wenig schneller!

Wie fühlte es sich an, als das erste Picknick-Plakat neu aufgelegt wurde? 

Das war lustig. Das brachte eine Menge Erinnerungen auf vielen Ebenen, sogar der Geruch der Druckerei hatte sich nicht stark geändert. Der Drucker, der alle 20 ursprünglichen Plakate gedruckt hatte, kam dafür zurück. Es machte richtig Spaß, die große neue Vierfarben-Druckmaschine zu sehen. Ich dachte mir, was man mit der alles anstellen könnte!

Sie werden etwas machen müssen.

Das werde ich vielleicht sogar. 

LEFT: 1980 Lemonade Poster RIGHT: 1976 Ham Poster