Ein ausgewogenes Gefühl

Vergessen Sie Modeworte und Trends. Der Schlüssel zur Planung eines effektiven Büros liegt in einem zeitlosen Konzept: Ausgewogenheit.


Verfasst von: Drew Himmelstein

Grafik von: Daniel Carlsten

Eine Illustration einer Frau, die alleine arbeitet, während vier Kollegen in der Nähe interagieren.

Dank der umfangreichen technologischen Möglichkeiten im mobilen und digitalen Bereich sollte es eigentlich einfach sein, ein Büro einzurichten. Arbeitsbereiche müssen nicht mehr auf einen Großrechner oder ein sperriges Ablagesystem ausgerichtet sein. Die Mitarbeiter finden fast alles, was sie für ihre Arbeit benötigen, auf ihren Laptops oder Smartphones. Daher bräuchte man im Prinzip nur noch Sitzmöglichkeiten – entweder für eine Gruppe oder einen einzelnen Mitarbeiter.

Leider ist diese eigentlich einfache Aufgabe aber anscheinend alles andere als einfach. Die Mitarbeiter möchten mehr als nur einen Schreibtisch: Sie wollen den Arbeitstag in einem inspirierenden Raum verbringen, der sie bei ihrer Arbeit unterstützt, ihr mentales und körperliches Wohlbefinden fördert und ihnen ermöglicht, konzentriert zu arbeiten und produktiv mit Kollegen zu kommunizieren. Wenn ein Unternehmen aber den Wünschen seiner Mitarbeiter nachkommen und einen modernen, effektiven Büroraum gestalten möchte, kann dies schwierig werden, denn es stehen zahlreiche, sich ständig ändernde und widersprechende Optionen zur Auswahl.

Die Aussagen über Menschen und ihre Bedürfnisse in der Fachliteratur zum Bürodesign scheinen ziemlich beliebig zu sein. Während ein Experte die Vorteile einer mobilitätsorientierten Arbeitsumgebung mit „freier Platzwahl“ hervorhebt, betont ein anderer,1 wie wichtig es ist, Mitarbeitern durch die Zuordnung bestimmter Arbeitsplätze Stabilität zu bieten.2 Gerade wenn man bei seiner Recherche zum Schluss gekommen ist, dass „das Großraumbüro das neue A und O“ ist,3 stößt man auf Warnungen vor einer bevorstehenden „Krise der Privatsphäre“.4 Ein Artikel beschreibt, wie Organisationen den mutigen Schritt von sicheren Desktop-PCs zu Laptops wagen, und im nächsten heißt es: „Berufstätige der Generation X und der Generation Y sind mehrheitlich der Meinung, dass im Jahr 2020 das wichtigste vernetzte Gerät eines Mitarbeiters das Smartphone (bzw. ein tragbares Gerät) sein wird."5 Zwischen den neuesten Ansichten zu Mitarbeitern, Technologie und Arbeitsplätzen gibt es nicht nur minimale Unterschiede – dazwischen liegen Welten.

Wenn wir aber kurz von dieser fachlichen Diskussion absehen, dann kann es eigentlich nicht möglich sein, dass sich Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse von Jahr zu Jahr so stark verändern. Ist der Mensch, der noch vor einem Jahr teamorientiert und Anhänger des Großraumbüros war, plötzlich so introvertiert, dass er einen ruhigen Arbeitsbereich ohne Ablenkungen bevorzugt?

Der Creative Director der d.school in Stanford Scott Doorley, der zusammen mit Scott Witthoft Make Space, eine Anleitung zu kreativitätsförderndem Design, geschrieben hat, glaubt das nicht:

„Die Bedürfnisse der Mitarbeiter bleiben gleich.“ Er zählt einige Anforderungen an den Arbeitsplatz auf, die seiner Meinung nach mehr oder weniger konstant bleiben: „Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie irgendwo hingehören. Sie benötigen einen privaten Bereich, in dem sie Gastgeber sein und ihre Sachen aufbewahren können.“

Views of the flexible spaces within the Hasso Plattner Institute of Design at Stanford, or

Ansicht der flexibel gestalteten Räume im Hasso Plattner Institute of Design in Stanford, auch bekannt als „d.school“.
(Fotos: Noah Webb)

Greg Parsons, Creative Director für Global Work von Herman Miller stimmt dem zu. „Wir haben erkannt, dass es sinnlos ist, immer den nächsten Trend vorhersagen zu wollen. Deshalb konzentrieren wir uns auf etwas, das sich nicht verändert – die menschliche Erfahrung.“ Parsons führt weiter aus: „Unser Design ist für das menschliche Betriebssystem bestimmt.“

Und das „menschliche Betriebssystem“ stellt einige ganz spezifischen Anforderungen an seine Arbeitsumgebung. „Es besteht kein Zweifel, dass Menschen zum Beispiel Wasser oder Sauerstoff benötigen“, argumentiert Edward L. Deci. Der Professor für Psychologie an der University of Rochester hat untersucht, was Menschen am Arbeitsplatz motiviert. „Aber nicht nur unser Körper hat Bedürfnisse, sondern auch unsere Psyche.“

Im Rahmen der Entwicklung des Living Office, dem neuen Ansatz für menschenorientierte Arbeitsplätze von Herman Miller, integrierten Parsons und sein Team unterschiedliche Ansichten darüber, was Menschen bei der Arbeit motiviert. Das Team kam zu dem Schluss, dass Mitarbeiter Folgendes spüren müssen: Sicherheit, Zugehörigkeit, Selbstständigkeit, Errungenschaft, Status und Zielsetzung.

Laut Deci liegt das in der Natur des Menschen. Um sich auf gesunde und produktive Weise in der Welt zurechtzufinden, benötigen Menschen, so Deci, das Gefühl, dass sie auf ihrem Gebiet kompetent sind, dass sie eine Beziehung zu anderen Menschen haben und dass sie selbständig arbeiten. „Untersuchungen zeigen, dass Menschen mehr leisten, wenn sie sich am Arbeitsplatz selbständig fühlen“, bestätigt Deci. „Menschen, die selbständig handeln, sind aus psychologischer Sicht gesünder.“

Aber ist es überhaupt möglich, die psychische Gesundheit in einer Büroumgebung zu fördern, in der unterschiedliche Arbeiten von Mitarbeitern mit unterschiedlichen Persönlichkeiten ausgeführt werden müssen? Gibt es eine Lösung für das Problem, dass Mitarbeiter zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedürfnisse haben? Dass sie manchmal Ruhe benötigen, um konzentriert arbeiten zu können, manchmal Platz für Bewegung brauchen und manchmal einen Raum für die produktive Zusammenarbeit mit Kollegen? Ist es möglich, unter all diesen scheinbar widersprüchlichen Anforderungen einen gemeinsamen Nenner zu finden?

Laut Parsons liegt der Schlüssel in der Ausgewogenheit.

Die effektivsten Büroräume bieten eine ausgewogene Vielfalt an Arbeitsumgebungen, die die psychischen Bedürfnisse von Menschen mit den Arbeitsanforderungen in Einklang bringen. „Ein reines Großraumbüro ist nicht effektiv“, erläutert Parsons. „Aber auch die Einzelbüros, die es früher gab, waren nicht effektiv. Wir brauchen die richtige Mischung – und dabei geht es nicht nur um die Frage, ob Großraumbüros oder Einzelbüros besser sind. Wir müssen zum Beispiel auch Förmlichkeit und Ungezwungenheit, Beständigkeit und Flexibilität, Einheitlichkeit und Vielfalt miteinander in Einklang bringen.“

Da die Mitarbeiter in einem Büro an so vielen unterschiedlichen Projekten arbeiten,
kann es eine Herausforderung darstellen, die perfekte Mischung zu finden und zu bewahren. Ein leistungsstarkes Verkaufsteam, das unzählige telefonische Verkaufsgespräche führt, um seine monatlichen Verkaufsziele zu erreichen, benötigt einen anderen Arbeitsbereich als Programmierer, die ein komplexes Codierungsproblem lösen müssen, oder Berater, die in einer Videokonferenz Ideen für die Lösung eines Kundenproblems besprechen.

Mit einer vielfältigen Mischung von Arbeitsbereichen ist es laut Parsons jedoch möglich, Ausgewogenheit für alle Mitarbeiter zu schaffen. „Wenn man versteht, wie Mitarbeiter und ihre Arbeit in Einklang gebracht werden können – wann etwa Beständigkeit gegenüber Flexibilität bevorzugt wird, oder ein offener Raum bzw. ein geschlossener Raum geeigneter ist –, dann kann man eine ausgewogene Mischung an Räumen für die unterschiedlichen Arbeiten zur Verfügung stellen.“

Parsons und das Living Office-Team rücken von den alten Zellenbüros und dem rückschrittlichen Großraumbüro ab und streben ein ausgewogenes Büro mit einer Mischung aus unterschiedlichen Arbeitsumgebungen an, die Mitarbeiter und Teams je nach Aufgabe und gewünschtem Ergebnis nutzen können.

Das Herman Miller Team hat zehn unterschiedliche Arbeitsumgebungen für ein ganzheitliches Büro entwickelt, die alle für bestimmte Zielsetzungen, Merkmale und Aktivitäten optimiert werden können. Ein Haven (Zufluchtsort) ist zum Beispiel ein privater Raum, in dem Mitarbeiter konzentriert arbeiten oder einfach entspannen können. Ein Hive (Bienenstock) gleicht einem Coworking-Büro und ermöglicht Einzelarbeit mit gleichzeitiger Unterstützung durch informellen Austausch und Zusammenarbeit. Ein Clubhouse (Clubhaus) bietet unterschiedliche Arten von Arbeitsbereichen in unmittelbarer Nähe und bildet damit die ideale Basis für die Zusammenarbeit mehrerer Teams.

„Manchmal muss man sich erholen, manchmal mit Kollegen sprechen, manchmal etwas dazulernen und manchmal einfach nur seine Füße auf einer Couch hochlegen und allein sein“, erklärt Primo Orpilla, Chef des Architekturbetriebs O+A, das Büros für viele führende Technologieunternehmen wie Facebook, Yelp und AOL entworfen hat.

O+A verwendet den Begriff „Topologie“, um unterschiedliche, speziell konzipierte Umgebungen in einem Büro zu beschreiben.

„Menschen sind sehr ritualistisch und verhalten sich je nach anstehender Aufgabe unterschiedlich“, meint Orpilla. So könnte ein Mitarbeiter seinen Arbeitstag zum Beispiel mit einer Tasse Kaffee beginnen, ein anderer mit einer Plauderei unter Kollegen und ein dritter begibt sich sofort zu seinem Arbeitsplatz, um sich auf ein großes Projekt zu konzentrieren. „Wir möchten, dass Mitarbeiter Raum für alle diese Rituale haben, die sich nach der jeweiligen Tagesstimmung richten“, fügt er hinzu.

„Ein reines Großraumbüro ist nicht effektiv. Aber auch die Einzelbüros, die es früher gab, waren nicht effektiv. Wir brauchen die richtige Mischung.“

—  Greg Parsons

The O+A-designed offices of Cisco, Yelp, and Open Table (clockwise, from top). (Photos by Jasper Sanidad)

Büros von Cisco, Yelp und Open Table (oben, rechts unten, links unten). Alle Entwürfe von O+A.
(Fotos: Jasper Sanidad)

O+A selbst hat Großraumbüros, die durch viele kleine und flexible Konferenzräume, Lounges, Telefonkabinen, Aufenthaltsräume und Stehtische für spontane Meetings im Flur ergänzt werden. Eine Faustregel besagt, dass ein Konferenzsaal für je 20 Mitarbeiter zur Verfügung stehen sollte. Laut Orpilla kommt in den Büros von O+A jedoch ein Sitzungsraum auf fünf bis sieben Mitarbeiter. Die Mitarbeiter von O+A müssen daher für die Zusammenarbeit keinen zentralen Konferenzsaal reservieren, der immer ausgebucht ist, sondern können sich auch spontan zusammensetzen.

Solche dynamischen Büroräume werden immer beliebter, insbesondere im Silicon Valley, das für Büroanlagen mit Beachvolleyball-Plätzen und Massageräumen bekannt ist. Aber auch in einem scheinbar so progressiven Umfeld ist es wichtig, für Ausgewogenheit zu sorgen. Man kann einen Raum so gestalten, dass er die Zusammenarbeit fördert, aber das bringt nichts, wenn Mitarbeiter dann lieber von zu Hause aus arbeiten, weil sie dort ungestört sind. Ganz egal, wie viele Tischtennistische ein Unternehmen bereitstellt, wenn Mitarbeiter für Besprechungen in kleinen Gruppen ins Café gehen, ist das Büro für sie nicht geeignet.

Letztendlich müssen die Mitarbeiter das geplante Büro annehmen und entscheiden können, wie sie es nutzen.

„Theoretisch kann man überall arbeiten“, meint Scott Witthoft, Mitautor von Make Space. „Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass es wirklich von Vorteil ist, Räume zu bieten, in denen sich Mitarbeiter zufällig treffen, miteinander sprechen und Ideen austauschen können – so, als ob sie sich auf der Straße begegnen würden.“

Laut Parsons ist es genau diese Art spontaner Kommunikation, die in den heutigen Büros unschätzbar wertvoll ist.

„In den 50er- und 60er-Jahren setzte man Mitarbeiter im Prinzip in Reihen nebeneinander und gab ihnen eine Aufgabe. Sie bildeten ein Informationsfließband. Die Arbeit war eintönig und prozessorientiert, als Vorbild dienten Fabriken“, meint Parsons. „Heute sind hingegen Innovation, neue Ideen und Kreativität wichtig. Mitarbeiter werden ganz anders geführt, und gefördert werden Freiheit, Veränderung und Vielfalt.“

In Bezug auf Gebäudeverwaltung und Instandhaltung kann es für Unternehmen verlockend sein, im gesamten Büro die gleichen Schreibtische oder Zellenbüros aufzustellen, da diese auf einmal gekauft und einfach instand gehalten werden können. Parsons ist allerdings der Meinung, dass es effizienter ist, in einem Büro unterschiedliche Arten von Arbeitsumgebungen einzurichten.

„Früher hatten wir für alle Mitarbeiter einzelne Zellenbüros und 70 Prozent davon standen leer. Wir haben festgestellt, dass Mitarbeiter lieber umherwandern als an einen bestimmten Bereich gebunden zu sein“, erläutert Parsons. Er argumentiert, dass gut genutzte Bereiche kostengünstiger sind. „Die Ausgaben können gesenkt werden, indem man den Mitarbeitern das bereitstellt, was sie wirklich wollen und schätzen“, fügt er hinzu.

Designed by O+A, Cisco's San Francisco offices offer a varied

Ciscos Büro in San Francisco bietet den Mitarbeitern eine abwechslungsreiche „Topographie“. Entwurf von O+A.
(Fotos: Jasper Sanidad)

In wettbewerbsstarken Branchen fördern flexible, attraktive Arbeitsbereiche die Entwicklung eines Unternehmens noch auf andere Weise – sie ziehen laut Orpilla neue Mitarbeiter an und steigern die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen.

„Mitarbeiter verbringen gerne Zeit in diesen Umgebungen“, betont er.

Letztendlich erfüllt ein ausgewogener Arbeitsplatz mehr Bedürfnisse als ein Büro mit einheitlichen Zellenbüros oder allgemein zugänglichen Tischen. Parsons nennt das alte monolithische Modell „großartig für den Durchschnitt, aber schlecht für spezifische Anforderungen“.

Denn viele Unternehmen machen den Fehler zu versuchen, für alle ihre Mitarbeiter und Teams eine einzige Designlösung zu finden. Aber Ausgewogenheit erreicht man nicht, indem man den besten gemeinsamen Nenner unter zahlreichen Anforderungen findet. Es geht vielmehr darum, Vielfalt zu schaffen.

„Meine Erfahrung hat gezeigt, dass man erfolgreicher ist, wenn man mehrere Extreme miteinander kombiniert, als wenn man versucht, einen passenden Mittelweg zu finden“, sagt Doorley.

Das digitale Zeitalter bietet den Luxus, dass Unternehmen endlich damit beginnen können, statt der Ausstattung oder der Computer-Hardware Menschen ins Zentrum ihrer Planung zu stellen. Und wenn wir etwas im Biologieunterricht gelernt haben, dann wohl, dass alle Lebewesen Ausgewogenheit benötigen. 

  1. Meghan Edwards. „What Is Authentic Design in the Mobile Workplace?“
    Interior Design, 11. November 2014.
  2. Jonathan Mahler. „Cubicles Rise in a Brave New World of Publishing“
    The New York Times, 9. November 2014.
  3. Marti Trewe. „Is the open office concept really superior? Maybe, maybe not“
    The American Genius, 5. November 2014.
  4. Steelcase. „The Privacy Crisis“ 360 Magazine, Ausgabe 68.
  5. Cisco. „Connected World Technology 2014 Report“ Cisco Systems, Inc., November 2014.